Dass der Versuch, hier Papiere zu bekommen, nicht nur nicht einfach ist, sondern ein echter Kampf ist, konnte man meinen vorherigen Einträgen ja schon entnehmen.
Was genauer mit Menschen passiert, die hier Asyl anfragen, versuche ich euch hiermit ein bisschen näher zu bringen. Dazu aber noch im Voraus: ich bin weder studierte Juristin, noch habe ich mich mit diesem Thema schon mein Leben lang befasst. Dies ist kein Expertenbeitrag, ich versuche nur, deutlicher zu machen, wie einzelne Schritte aussehen können.
Vielfältig sind die Wege von Migranten in die Niederlande. Meistens haben sie viel Geld an Leute bezahlt, die ihnen dann eine mögliche Einreise organisieren - via Flugzeug, Transporter, per Schiff... Oft dauert es lange Zeit, bis sie wirklich hier, an ihrem eigentlichen Ziel ankommen, da sie nur via mehrere verschiedene Länder hierherkommen können, und manchmal schon dort für einige Zeit im Gefängnis sitzen (z.B. in Griechenland, Italien).
Zunächst einmal zu der Frage, was es bedeutet, illegalisiert zu werden:
Der Status "illegal" bedeutet, man hält sich gesetzlich unrechtmäßig im Land auf. Man muss immer und überall befürchten
von der Fremdenpolizei erwischt, festgenommen und ins Abschiebegefängnis
gesteckt zu werden, um dort auf seine Aussetzung zu warten. Und mit der
neuen Regierung der Niederlande, die Illegalität strafbar stellen will,
wird man dadurch sogar zum Straftäter. Dazu werde ich noch einen
anderen Blogpost schreiben.
Link folgt hier.
Zur Asylprozedur: Einmal hier angekommen, können die Migranten hier Asyl anfragen. Alle, die hier das erste mal Asyl anfragen, sind bis zum Zeitpunkt der Bekanntgabe des Ergebnisses legal. Sie wohnen z.B. in Asylsuchercentren, wo sie jede Woche stempeln müssen. Nach einer Menge Papierkram und Wartezeit, bekommt ein Großteil ein "Negativ" - man wird zum Abgewiesenen und muss das Land verlassen. Solange man hier ist, ist man dann illegal. Wer kein Asyl anfragt, ist von vornherein illegal.
Wer hier ein zweites, drittes... usw. Mal Asyl anfragt, darf das Verfahren nicht in den Niederlanden abwarten. Wer das doch tut, ist illegal.
Nach nervenaufreibenden Monaten und Jahren bekommen manche Asylsucher doch noch eine Aufenthaltsgenehmigung. Diese ist jedoch zeitlich begrenzt und muss nach einer bestimmten Zeit (z.B. 5 Jahre) verlängert werden. Wird das nicht getan, oder der Verlängerung nicht zugestimmt, werden sie illegal. Auch durch verschiedene Umstände kann man im nachhinein noch zum/zur Illegalen erklärt werden, z.B. wenn das Land der Herkunft später als sicher erklärt wird und dadurch der Flüchtlingsstatus verloren geht, durch Straftaten (wo schon Schwarzfahren ausreichend sein kann), wenn der Partner die Aufenthaltsgenehmigung verliert oder durch Scheidung und und und.
Sitzt ein "Illegaler" erst ein mal im Abschiebegefängnis gibt es noch zwei Möglichkeiten. Er/sie wird erfolgreich abgeschoben oder als Unaussetzbar erklärt. Das passiert z.B. wenn die Herkunft nicht nachgewiesen werden kann. In diesem Fall muss der Gefangene wieder freigelassen werden, mit dem Ersuchen, das Land binnen 24 Stunden zu verlassen. Ab diesem Punkt, wo er auf die Straße gesetzt wird, all seine Besitztümer in einer Plastiktüte, bekommt er absolut keine offizielle Hilfe mehr.
Im Idealfall bekommt ein Asylsbewerber erst eine zeitlich begrenzte und dann eine permanente Aufenthaltsgenehmigung und kann dann nach 5 Jahren die Niederländische Staatsbürgerschaft anfragen. Der Weg dorthin ist lang und steinig und die Anzahl derer, bei denen das wirklich gelingt, ist leider verschwindend klein.
Von was es abhängt, eine Aufenthaltsgenehmigung zu bekommen, scheint manchmal komplett willkürlich. Dem IND (Immigrations- & Neutralisationsdienst der Niederlande) fallen immer wieder ganz tolle neue Gründe ein, warum jemand kein Asyl bekommt - die Person kommt ganz sicher gar nicht aus angegebenem Herkunftsland, die Situation im Herkunftsland ist doch schon lange wieder ganz ungefährlich für betreffende Person, was du hier willst, kannst du auch zu Hause usw. Es scheint, als würden die um Aufenthaltsgenehmigungen würfeln, wenn zwei Menschen mit genau gleicher Geschichte, unterschiedliche Ergebnisse bekommen.
(An dieser Stelle breche ich die Theorie vorerst ab, da diese ganze Asylanfragen-Welt voll ist von Ausnahmen, Spezialfällen und -verfahren, Berufungsprozessen, abweichenden Regelungen etc., und das hier wohl etwas zu weit führen würde.)
Soviel jedenfalls zum Theoretischen. Ganz praktisch gesehen bedeutet das für diese Menschen einen Riesenstress und eine nervliche Zerreißprobe. Das merke ich hier im Haus vor allem im letzter Zeit sehr deutlich.
Das eeeeeewige warten auf nur einen einzigen Brief, die Abhängigkeit von Anwälten, die sich lieber um reichere Klienten kümmern, die permanente Angst vor dem, was kommt, das klammern an einen einzigen Hoffnungsschimmer und die ungewisse Zukunft bestimmen wirklich die Gedanken aller. Manche können das besser, andere weniger gut überspielen und/oder verdrängen.
Vor allem wenn ich mit dem Jungen in meinem Alter rede, wird mir das immer wieder schmerzlich bewusst. 21 Jahre, vor 10 Jahren mit der Familie hier hergekommen, einen Monat zu spät, um unter das General Pardon zu fallen, Asylanfrage abgewiesen & sich selber überlassen. Zukunftsperspektive? Negativ.
Wir sind doch beide Menschen, haben gleich viel Lebenszeit hinter uns und doch so eine unterschiedliche Lebensgeschichte. Was ist denn daran noch gerecht, wenn allein der Geburtsort Menschen privilegiert und andere benachteiligt? Ein paar unterschiedliche Längen- und Breitengrade, die einem alle Chancen verbauen können, während ich ein wohl behütetes, einfaches Kleinbürgerleben führe, und mir alle Chancen offen stehen. Ich kann einfach mal so realistisch davon träumen, in unterschiedlichen Ländern zu studieren, überall hin zu reisen, wo ich gerade will. Anderen bleibt nur der Traum. Dass es Menschen gibt, die nur äußeren Umständen wegen keine Chance haben, aus ihrem Leben das zu machen, was sie wollen, war mir vorher nicht so deutlich bewusst.
Und in dem Moment muss ich mich wirklich zusammenreißen, um mich nicht deswegen schlecht zu fühlen, dass ich in Deutschland geboren wurde.