Mittwoch, 13. Oktober 2010

Alltag? Bitte was??

Mein Alltag hier im JNH und in Amsterdam lässt sich schwierig beschreiben - schlichtweg deswegen, weil es hier keinen Alltag für mich gibt.
Ich habe wohl meine Standartaufgaben (im Shoppingmanagement werd ich immer besser :P), wie haushaltstechnische Dinge oder das wöchentliche Vergadering mit der kerngroep.
Aber generell gibt es hier fast täglich neue Aufgaben zu erledingen und neue Dinge zu entdecken und zu erleben.

Im Folgenden versuch ich dennoch mal einen Überblick zu verschaffen, was ich hier eigentlich so im Groben tue.
(Achtung, langer Blogeintrag  - wer kein Bock hat viel zu lesen, sollte jetzt damit aufhören ^^)



Meetings, meetings und nochmal meetings.  Ach ja, und meetings.

Vergadering
Jeden Dienstag, von 8.30 Uhr bis 11.30 Uhr ist Standart-Vergadering mit der kerngroep. Hier werden die wichtigsten (& vertraulichsten) Dinge des Hauses besprochen – Bewohner, Termine, Finanzen, Probleme, wer gehen muss, wer evtl. neu einzieht etc. etc.
Danach ist das Hirn meinst leicht zermatscht, auch weil ich noch viel Konzentration dafür aufwenden muss, die Sprache zu verstehen. Aber vor allem weil doch teilweise auch tiefgreifende Probleme zu lösen und einschneidende Entscheidungen zu treffen sind.


Catholic Worker Amsterdam

CW-Logo
Das JNH ist eines von unzähligen Häusern innerhalb der Catholic-Worker-Bewegung, die ursprünglich aus Amerika kommt. Diese Häuser wurden alle errichtet, um Bedürftigen zu helfen, wie in unserem Fall Flüchtlingen. Auch hier in Amsterdam gibt es ein CW-Netz, sodass es auch immer regen Kontakt von/nach außen gibt. Vergadering? – natürlich, hier wurde z.B. das CW-Amsterdam-Logo vorgestellt, über Fahrradtaschen und T-Shirts mit diesem Aufdruck und über die neue Regierung der Niederlande diskutiert.
(U.a. mit meiner Vor-Vor-Vorgängerin Sabrina, die mich jetzt auch bei ASF mit einem Förderbeitrag unterstützt – Danke nochmal an dieser Stelle :) )



Bezoekgroep

Sobald mein screening bei den Behörden durch ist, darf ich als Mitglied der bezoekgroep 1x alle 2 Wochen mit der Gruppe ins Abschiebegefängnis.
Und mit der bezoekgroep gibt es natürlich auch jede Menge Dinge, über die man vergaderen kann.

Ich bin echt neugierig aber ich hab auch n bisschen Angst vor dem, was mich dann erwartet. Vor allem weil ich nichts tun kann, außer alle 2 Wochen für eine halbe Stunde „da“ zu sein. Ich kann den Insassen sonst in keiner Weise helfen. Besuchen, nichts weiter. Dennoch halte ich die bezoekgroep für sehr wichtig, weswegen ich mich auch dazu entschieden habe, das zu machen. Von meinen Eindrücken davon wird garantiert noch zu lesen sein ^^




Nieuwsbrief
4 Mal im Jahr gibt es eine Art „Newsletter“ von unserem Haus.
 Natürlich nicht virtuell, sondern ganz real, DIN A5, schwarz-weiß, mit kleinen schwarz-weißen Bildern auf Umweltpapier. (Mattias und ich planen gerade eine Revolution. Wir werden sehen wie der nächste nieuwsbrief dann aussehen wird :P)
Wenn man dabei an die Dimension von knapp 2000 Empfängern denkt, kann man sich vllt. vorstellen wie viel Arbeit das macht. Bisher ist noch weniger das Versenden, als vielmehr das Schreiben der Artikel das Hauptproblem. Die Zeit ist sehr knapp bemessen und man sieht fast jeden Tag jemanden verzweifelt versuchen, sich nicht von „wichtigeren“ Dingen (spielende Kinder, wunderschöne sonnige Herbsttage, ohje-Kaffee-ist-leer, dringender Nikotinbedarf , singende Äthiopierinnen  etc.) ablenken zu lassen - Mission Impossible ^^


Lebensgemeinschaft
Ganz ehrlich - ich finde es wunderbar. Ich hab deswegen auch keine 24/7 - Arbeitswoche, ich habe genügend Freizeit und auch sehr viele Freiheiten.  Und darüber hinaus noch den Luxus, eine ganz andere Beziehung zu meinem Projekt aufbauen zu können. Sowohl mit den Flüchtlingen, als auch mit der kerngroep hat das alles hier eher eine familiäre Atmosphäre. Es ist doch erstaunlich und sehr schön, wie schnell sich gegenseitiges Vertrauen aufbauen kann. Von der Bereitschaft, abends gemeinsam Karten zu spielen und zu lachen, obwohl man doch so komplett unterschiedlich ist und sich nicht mal unterhalten kann, bis hin zum Erzählen seiner kompletten Lebensgeschichte.
Ich merke jeden Tag mehr, dass ich am richtigen Ort & im absolut richtigen Projekt bin. Und das bestärkt mich nur noch mehr, hier mein Bestes zu leisten in diesem Jahr.


Wochenende
Ja, 5 Tage arbeiten & 2 Tage frei, das lässt sich schlecht realisieren, wenn man quasi mit seiner Arbeit zusammenlebt ^^  Versuch mal, einem 2-jährigen Mädel zu erklären, dass du gerade keinen Bock hast, mit ihr zu spielen, oder einem Hausbewohner, dass du lieber erst übermorgen mit ihm oder ihr reden würdest. Ihr seht, unmöglich. Versteht sich aber schon von selbst aus dem Begriff "Lebensgemeinschaft" und war mir somit auch von vornherein klar. Und wie schon erwähnt, hab ich trotzdem viel Freizeit.
Zurück zum Thema Wochenende.
Wie es sich für eine Metropole so gehört, kommt hier das Nachtleben auch nicht zu kurz. Doch bisher läuft das bei mir noch ziemlich tourimäßig ab – was bedeutet, es ist teuer. Bis ich (und die anderen 8 Amsterdam-ASF-Freiwilligen) die Preisklasse „Stundent“  entdeckt haben, dauert es wohl noch n bisschen. Deswegen geben wir uns oft mit gemeinsamem Kochen im Studi-Wohnheim & anschließendem gemütlichem Betrinken, oder einer kleinen Bartour  zufrieden. Sehr zufrieden sogar :) Wenn man mal raus ist aus den komplett mit Touris überlaufenen Gegenden (wie z.B. dem Rembradtplein), werden die Kneipengänge doch heel erg gezellig und sehr „amsterdamerisch“ :)
A propos andere Freiwillige. Entgegen meiner anfänglichen Befürchtungen, wir würden uns aus den Augen verlieren, halten wir doch sehr guten Kontakt. Und weil wenn wir den Sinn unseres Auslandsaufenthalts nicht verfehlt sehen, wenn wir uns nicht jeden Abend die Seele aus dem Leib tanzen, gehen wir oft einfach Sonntags een copje koffie trinken.
Was so banal klingt, ist echt wichtig für mich. Zum einen, dass ich – trotz aller Liebe natürlich – auch mal was andere sehe, als das Haus hier, zum anderen ist es einfach wichtig, jemand Außenstehendes zum Reden zu haben. Danke (Ja, nochmal ein Danke ^^) vor allem an Eve (Projekt: Anne Frank Museum) und unsere Wochenendausflüge :)

Besuch von ASF-Freiwilligen aus Rotterdam - Yannick & Lukas mit Eve und mir :)



 
 Beim Kaffeetrinken - Amsterdam-Portmonnaie von Eve (r.) und mir (l.)


Achja, auch Flüchtlinge können feiern - was sich auch an meinem Höllenkater am nächsten Tag eindeutig nachweisen ließ  xD ^^


Sonstiges
Ansonsten helfe ich bei allem was so ansteht, wie Keller ausmisten, für Geburtstagfeiern backen, die Kinder beschäftigen und auf sie aufpassen usw. usw. ...


Meine Geburtstagskuchen für Xiao Hua :)                                 Gefüllte Paprika á la Caro :D
  

So, ich hoffe man kann sich jetzt so ungefähr vorstellen, was ich hier so in den letzten 3,5 Wochen getan habe/in Zukunft tun werde. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. Auf Wiedersehen.




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