Freitag, 25. Februar 2011

Halbjahres-Gedankenchaos

Jetzt ist es wirklich so weit - das erste halbe Jahr ist vorbei und alles in mir ruft: ich will hier nicht weg!
Ja ich weiß, es ist noch lange nicht die Zeit, mich aufs Gehen vorzubereiten und doch. Die vergangenen sechs Monate sind nur so an mir vorbei geflogen. Ich erinner mich noch daran, wie mir als Kind sechs Wochen Sommerferien wie ein halbes Leben vorkamen. Oder wie ich letzten Sommer kurz vor dem Abschied von zu Hause stand, und ein unendlich langes ganzes Jahr vor mir lag. Und jetzt kommen mir sechs Monate vor wie ein Augenblick - ein wunderbarer Augenblick.
 Es passiert einfach jeden Tag, jede Stunde und sogar jede Minute irgendetwas Neues oder Besonderes, dass ich gar nicht mehr damit hinterherkomme, jeden einzelnen Moment richtig wertzuschätzen. Es ist das Gefühl, jeden Moment am liebsten fünf Mal erleben zu wollen, um sich dessen auch wirklich bewusst zu sein. Aber alles fliegt einfach so an mir vorbei, genau wie die Zeit. Ich fühl mich wie ein Kind, das durch eine Süßigkeitenfabrik rennt und dabei versucht, möglichst viel aus den Regalen mitzunehmen, ohne stehen bleiben zu können (...um auch mal ne Metapher mit einzubauen).
Ein Jahr ist, zeitlich gesehen, nichts. (Warum wurden eigentlich die zweijährigen Freiwilligendienste abgeschafft?) Und ich bin sicher, dass die zweite Hälfte des Jahres dank Sommer, viel Besuch und vielen Ausflügen, noch schneller vorbei gehen wird. Und dann? Einfach so weg von hier? Im Moment unvorstellbar für mich. Ich liebe das Haus, meine Arbeit, die Menschen hier, Amsterdam und alles was damit zusammenhängt so sehr, und ich glaube, ich war mir noch nie im Leben so sicher, das Richtige zu tun. Wenn ich eine Wahl hätte, dann würde ich ohne zu zweifeln oder zu zögern noch ein Jahr hier bleiben.
Da das aber nicht zur Debatte steht, muss ich wohl anfangen, mich damit abzufinden, dass es eben EIN freiwilliges soziales Jahr ist. Dennoch wird mir der Gedanke, eventuell hier zu studieren, immer sympathischer. 

Ganz abgesehen davon, hat sich auch meine Einstellung den Bewohnern gegenüber (zeitweise?) ein bisschen geändert. Eigentlich konnte ich immer erstaunlich gut auch mit dem Leid um mich herum umgehen, und das alles nicht zu sehr an mich heranlassen. Aber seitdem ich gesehen habe, wie schnell sich eine Situation ins positive Verändern kann, und wie es für machne Bewohner endlich bergauf geht, wünsche ich mir das viel stärker auch für alle anderen. Sprich, ich würde im Moment lieber die Welt retten, anstatt kleine Schritte zu gehn. Und irgendwie fühlt man sich auch schuldig, weil man diese Probleme, die hier das ganze Leben eines Menschen bestimmen, nie hatte.

Sonntag, 13. Februar 2011

Caro im Kloster

[Achtung - folgender Artikel könnte sich an manchen Stellen als etwas sarkastisch und provokant erweisen. Wer damit nicht umgehen kann, sollte nicht weiterlesen.
Im Folgenden also die Meinung einer Person, die man in den vergangenen Jahrhunderten noch als "Ungläubige" betitelt hätte. Naja, heute vielleicht auch noch. In gewissen Kreisen.]

Wer anlässlich des Blogtitels große Augen bekommen hat oder loslachen musste, soll sich schämen! Es ist nicht soooo ungewöhnlich, dass ich mich in einem Kloster aufhalte. Okay, vielleicht ist es nicht gerade mein Lieblingsfreizeitbeschäftigung, aber dieses Wochenende habe ich mit meinen Kollegen in der St. Adelbertabtei Egmond Binnen verbracht. 






















Anlass war, kurz gesagt, ein paar Tage Besinnung & Rückzug und Teambuilding.


Weniger der Spiritualität wegen, als vielmehr, um mir selber was zu beweisen, hab ich auch fleißig an den Gottediensten teilgenommen. 6 Stück pro Tag, wenn man den Highscore holen möchte.
Vielleicht lag es daran, dass ich noch nie an einem kathoischen Gottesdienst teilgenommen hatte, oder dass es ein Gottesdienst in den Niederlanden war und oder daran, dass er in einer Klosterkirche stattfand oder daran, dass ich seit der Konfirmation meiner Schwester keinen Fuß mehr in eine Kirche gesetzt hatte - oder an der Kombination dieser vier Fakten. 
Auf jeden Fall dachte ich, ich bin im falschen Film, als ich im ersten Gottesdienst am Freitag Mittag saß. Schummerlicht, Mönche in schwarzen Kutten, die Psalme und Lieder singen, die sich anhören, als wäre gerade jemand gestorben, zehntausendmal die selben Gebetsfloskeln und ständig müssen sich alle verbeugen. Die letzten (evangelischen) Gottesdienste, die ich besucht hatte, habe ich deutlich anders im Kopf. 
Mir ist unerklärlich, wie man mit so einer Grabesstimung (andere würden es wohl "Besinnlichkeit" nennen) die Herrlichkeit Gottes feiern will. Wenn man schon so pro-Glauben ist und damit/darüber so froh ist, könnte man das doch wohl auch ein bisschen besser zum Ausdruck bringen?! Aber nein, immer dieses ewige "Ich bin ein Sünder, ich bin schlecht, die Welt ist schlecht, ich habs aber auch nicht anders verdient und hoffe auf deine Gnade" ist echt nicht mein Ding. (Eine Frage an meine katholischen Leser - sind wirklich ALLE katholischen Gottesdienste so?)

Nachdem der erste Schock dann überwunden war, habe ich mir die folgenden Gottesdienste damit verbracht, mich zu Dinge zu fragen: ob den Mönchen eigentlich nicht kalt ist, ob sie wohl noch zusätzlich Hosen unter ihren Kutten tragen, warum die (fast) alle singen können, wie man es durchhält, Wochen und Jahre jeden Tag sechs mal die gleichen Lieder und Psalmen in der gleichen Tonlage und mit den selben 4 Noten zu singen, ohne durchzudrehn, warum die Niederländer Gott siezen, warum es eigentlich Eva war und nicht Adam, die den größten Mist der ganzen Bibelgeschichte gebaut hat, was der Sinn von Weihrauch ist, der mir und vor allem den Mönchen die Augen brennen lässt, dass Alt-Niederländisch noch ein Stück mehr dem Deuschen gleicht als das heutige, wie gut es wohl ankommen würde, wenn ich den Gottesdienst-Revoluzzer spielen und n paar Verbesserungsvorschläge anbringen würde, dass wohl zu wenig Leute für eine Jesus-Laola-Welle anwesend sind, und wie vielen Leuten ich wohl mit meinem folgenden (diesem) Blogeintrag auf die Füße treten werde. Und, naja, zwischendurch hab ich wohl auch manchmal zugehört und mitgelesen. Es ist ja auch nicht so, dass ich mich darin nicht wiederfinde und es soll auch nicht der Eindruck entstehen, ich sei gegen Religion. Aber das? Das war mir doch zu... sagen wir mal, konservativ und farblos.

Außer diesem Gottesdienst-Marathon haben wir die Zeit dazu genutzt, uns als Team gegenseitig besser kennen zu lernen, das Jeanette Noelhuis seine Bedeutung und seinen Platz und in der Welt selbst (neu) zu definieren und Zunkunftspläne anzuschneiden. Darüber hinaus hatten wir fernab vom Noelhuis-Troubel auch mal wirklich Ruhe und Zeit für uns selber, was man "zu Hause" zu äußerst selten bekommt.
Alles in allem hat uns das Wochenende ziemlich gut getan, als Gruppe und jedem einzeln. Wir haben festgestellt, dass wir sehr harmonisch miteinander funktionieren, viel Gelacht und zwischendurch auch wirklich Zeit, über wichtige Dinge und/oder sich selbst nachzudenken.

Und was die Spiritualität anbetrifft,  habe ich meinen Horizont definitiv erweitert und ich muss zugeben, ich hatte vorher wirklich null Ahnung vom Katholizismus. Ich hätte nie gedacht, dass sich die beiden Konfessionen so stark unterscheiden.
Aber eins steht dennoch fest, ein katholischer Catholic Worker bin ich wohl eher weniger. 
Sorry, Dorothy.

Dienstag, 8. Februar 2011

"Waaaaaaaaaaaaaaaah...!"

(= Ausdruck der ungebändigten, überschwänglichen Freude)


Grund dafür sind zwei erfreuliche Nachrichten, die unsere Bewohner heute erreicht haben.


Zum einen wird die Aufenthaltsgenehmigung unserer Dominikanerin aufrechterhalten, beziehungsweise fortgesetzt!  Zum anderen hat eine unserer Bewohnerinnen heute die Nachricht bekommen, dass ihr Pass hier bei ihrer Botschaft angekommen ist und sie ihn morgen in Den Haag abholen kann! Nach über einem Jahr Kampf darum, stehen ihr und ihrer kleinen Tochter nun sämtliche Türen offen, was die Asylfrage anbelangt. 
Und ich kann das daraus resultierende Riesengrinsen auf meinem Gesicht nicht bändigen.Wie wunderbar es doch ist, so große Freude und Hoffnung mitzuerleben. 


Ich werde jetzt noch ein bisschen weiterfeiern. In diesem Sinne,
waaaaaaaaaah!
eure ganz-aus-dem-Häuschen-Caro

Montag, 7. Februar 2011

Neue Teller

Die letzte Woche war in vieler Hinsicht eine sehr intensive Woche für mich mit vielen einzigartigen und einprägenden Erlebnissen und Erfahrungen. Die haben Kopf & Herz derartig eingenommen, dass ich das Wochenende in einer Art Wachkoma verbracht habe.
Zunächst ist zu erwähnen, dass ich neue Teller gekauft habe. Um zu verstehen, warum mich das so in Hochstimmung versetzt, muss ich wohl noch das "Drumherum" erklären. 
Für uns als Hausgemeinschaft ist wohl das allabendliche gemeinsame 6-Uhr-Abendessen einer der wichtigsten Bestandteile. Ein Moment des Tages in dem sich - im Idealfall - das ganze Haus zusammen am Tisch versammelt und gemeinsam zu Abend isst. Es kommen auch regelmäßig viele Menschen (Freunde, Freiwillige, Gäste der Bewohner) zu Besuch, die Mitessen. Und so ist es vor kurzem zum ersten Mal nach einer gefühlten Eeeeeewigkeit soweit gekommen, dass wir zu wenig Teller hatten. Grund? Unsere Hausgemeinschaft ist während des letzten Monats wieder gewachsen, und zwar um 3 neue Gesichter aus dem Sudan, Nordkorea und der Dominikanischen Republik! Ist doch eigentlich ganz normal in so einem Auffanghaus - Menschen gehen, neue ziehen ein.  Doch seitdem ich hier bin, sind nur Menschen ausgezogen, kamen ins Gefängnis oder verschwanden einfach spurlos. Zudem hatten wir dann viel zu lange zwei bis drei leere Zimmer, die mich mit jedem Tag mehr deprimierten.
Nun, mit den neuen Tellern habe ich ein handfestes Zeichen, dass es weitergeht, vorangeht. Das Haus ist voll und lebendiger, und das Gefühl, endlich wirklich wieder so vielen Menschen wie möglich Unterkunft zu bieten und zu helfen, ist unglaublich zufriedenstellend.

Detentiecentrum Rotterdam
Aber wie man sieht ist die Geschichte von den Hausbewohnern in Gefängnissen doch noch nicht zu Ende erzählt. Einen Monat, nachdem sie bei uns ausgezogen ist, wurde eine ehemalige Hausbewohnerin gefangen genommen und ins Abschiebegefängnis Rotterdam gebracht - da sitzt sie nun schon 2 Monate. Rechtlich gesehen dürfte sie das gar nicht. Doch wer interessiert sich schon für das Recht der (beinah) Rechtlosen?
Jedenfalls hat mich das nicht, wie beim ersten Mal, total aus der Bahn geworfen. Komisch, wie schnell man sich an diese Dinge gewöhnt, bzw. gewöhnen muss. Mit meinem Kollegen habe ich sie also letzten Mittwoch besucht. Für Besuche ist dieses Gefängnis eindeutig nicht ausgerichtet. Es ist mit dem öffentlichen Verkehr kaum zu erreichen, ab dem Rotterdamer Flughafen muss man selber schauen, wie man zu diesem abgelegenen, riesigen, schwarzen Zellenkomplex kommt. Und wenn ich riesig sage, meine ich riesig - kein Vergleich zu Schiphol!


Das neue, moderne Gebäude bietet Platz für rund 500 Gefangene. Technik und Ausstattung auf dem neuesten Stand, überflutet mit Sicherheitskräften, penibel sauber. Nach einer vergleichbaren Sicherheitskontrollen-Prozedur wie in Schiphol kamen wir in den Besuchsraum. Hier sind Gefangene und Besucher durch eine architektonische Meisterleistung voneinander getrennt, man sitzt auf festgeschraubten Metallhockern.
Eine Stunde konnten wir dann mit ihr reden, unter den Augen der kaum 3 Meter entfernten Security, die alles mithören konnten, wenn sie wollten. 
Es war gut, sie zu sehen. Zu sehen, dass sie stark ist. Ich denke, ich werde sie auch noch einmal besuchen. Aber vielleicht sollte ich auch noch einmal über die Worte einer anderen Haubewohnerin nachdenken: "You're spending way too much time in prisons, don't you think so?"
Ja, possibly. Auf der anderen Seite ist das doch das Einzige, was ich in dieser Hinsicht tun kann. Warum man jedoch so ein großes Gebäude - das eindeutig für längeren Aufenthalt von Gefangenen ausgerichtet ist - nur für Menschen baut, die man eigentlich sowieso nicht da haben will, muss mir nochmal jemand erklären. Die bizarre Immigrationspolitik der Niederlande kommt hier jedenfalls deutlich zum Ausdruck.

Happy End 
Am Samstag waren wir bei einer ehemaligen Bewohnerin auf Besuch in Utrecht. Sie hat mit ihrem 1jährigen Sohn eine Aufenthaltsgenehmigung bekommen und jetzt auch ein eigenes Haus gefunden und bezogen. Sie hat den Kampf, nach 6 Jahren in den Niederlanden, endlich gewonnen. Es ist so gut, auch mal das Happy End einer Geschichte zu sehen und mitzuerleben. Ganz nebenbei habe ich 4 kleine Geschenke aus meiner Sinterklaas-Überraschung für sie, im Haus wiederentdeckt. Ich scheine also ihren Geschmack getroffen zu haben, yay! :) (siehe Blogeintrag über Sinterklaas)

Niederländisch vs. Spanisch
Mit der Ankunft unserer Dominikanerin wurde mein Spanisch wieder gefordert. Ha, denkste! Niederländisch vs. Spanisch - 1:0. Da lernt man eine Sprache 5 Jahre lang, beendet das ganze mit einer guten Abitursklausur und jetzt wo's darauf ankommt, herrscht in meinem Hirn nur noch eins:  Niederländisch. Ich hab mich schon selber ausgelacht, bei dem Gedanken daran, wie lächerlich sich mein Sprachmix mit deutlichem Hang zum  Niederländisch für unseren neuen Gast wohl anhören musste. Mein Englisch ist wohl auch etwas abgestumpft, aber diese beiden Sprachen können in meinem Hirn einfach nicht koexistieren. Es erfordert echt Höchstleistung und noch deutlich mehr Training, Spanisch in meinem deutschen Hirn ins Niederländische zu übersetzen. Jetzt, nach einer Woche, kommt mein Spanisch langsam wieder, nur bin ich jetzt leider wieder auf der verzweifelten Suche nach meinem Niederländisch-Wortschatz. Zum heulen ist das. Dennoch dient es der allgemeinen Belustigung, wenn ich irgendwann sprachtechnisch so durch den Wind bin, dass ich mit meinen Kollegen Englisch, unserer Dominikanerin Deutsch, den Äthiopiern Niederländisch rede, und mich dann selber später frage, wie man jetzt eigentlich afwasbak auf Deutsch sagt (Ich weiß es übrigens immer noch nicht.)

Mittendrin
Außerdem kommt jetzt mit dem vollen Haus auch wieder mehr neue Arbeit auf mich zu. Darüber hinaus habe ich die Möglichkeit, mehr Ideen zu verwirklichen und wirklich intensiv mit den Bewohnern zu arbeiten, z.B. Stellensuchanzigen zu verfassen oder mit ihnen den Sprachlerncomputer der Bibliothek auszuprobieren. Außerdem habe ich unsere Dominikanerin mangels Kollegen ganz alleine instruiert. Sprich, ich kann nun wirklich behaupten, es läuft und mir bieten sich nun viele Möglichkeiten, intensiv mit den Bewohnern zu arbeiten und Ideen zu verwirklichen. Und mit dem kommenden warmen Wetter kanns nur noch besser werden.
Im Moment ist hier aber ein Sturm schon den dritten Tag am wüten, von dem selbst die windgewöhnten Niederländer bemerken mussten: "Ordentliches Lüftchen!". Dieses Lüftchen haut mir mit aller Regelmäßigkeit beim Fahrradfahren meinen Mantelkragen ins Gesicht, ohne dass ich da irgendwie was dran ändern könnte, und weht 1jährige schon mal einfach so von den Füßen. Meine Sehnsucht nach Frühling und Sommer wird größer.

Halbzeit
Aber damit auch meine Unruhe, wenn ich daran denke, dass schon fast die Hälfte meines Freiwilligendienstes vorbei ist. Wenn ich daran denke, dass ich hier in einem halben Jahr einfach so weg soll, wird mir ehrlich schlecht. Sechs Monate, was ist das schon? Die vergangenen sind nur so an mir vorbei geflogen und kaum fühlt man sich echt angekommen, muss man sich schon wieder fast aufs Gehen vorbeireiten. Eins steht für mich jetzt schon fest, ein Jahr ist zu kurz. 
Nur wirklich was dagegen machen kann ich nicht, während in diesen Wochen meine Nachfolgerin ausgewählt wird. 
Aber noch sind es ja sieben Monate und ich werde versuchen, nicht zu sehr an den Abschied zu denken. 
Dennoch spiele ich mit dem Gedanken, hier in den Niederlanden zu studieren.
Que será, será. We zullen zien.