Samstag, 9. April 2011

Was zur Hölle muss denn noch passieren??

Was zur Hölle muss denn noch passieren, bis jemand wach wird?

Vor zwei Tagen hat sich ein Mensch auf dem Dam Square in Amsterdam - mitten im Stadtzentrum, ca. 5km von mir weg - in Brand gesteckt und ist gestern seinen Verletzungen erlegen. Der Grund für diese Tat war bis heute unbekannt und Spekulationen entflammten in den Medien - verzweifelter Arbeitsloser? Psychisch Kranker?

Falsch. Das wahre Motiv ist seit heute bekannt: Der Mann war Asylbewerber.


Der gebürtige Iraner Kambiz Roustayi (36) verweilte schon seit mehr als zehn Jahren in den Niederlanden. Die Asylanfrage dieses Mannes, der im Herkunftsland regimekritische Meinung publizierte und dem dort deswegen Folter und Gefängnis drohen, wurde nach all diesen Jahren zum wiederholten Male abgewiesen.

Und Kambiz Roustayi steht nicht alleine damit. Viel zu oft sitzen Flüchtlinge in endlosen Gerichtsverfahren, wodurch sie nirgends ein normales Leben beginnen können: weder im Herkunftsland, wo sie ihres Lebens nicht sicher sind, noch im Zielland, in diesem Fall den Niederlanden, wo sie von der Welt abgeschieden in Asylsucherzentren leben müssen. An den Rand der Zivilisation gedrängt, mit dem Finger draufgezeigt, mit dem Wort "Illegale/r" bestempelt. Nein, diese Zeit, in der Asylbewerber in ihrem Asylprozess sitzen, und einfach nur abwarten müssen, ohne Handlungsmöglichkeit, ohne die Erlaubnis zu arbeiten, kann man definitiv nicht als „leben“ bezeichnen. Das Einzige, das bleibt, ist die Hoffnung auf ein "Positiv", eine Aufenthaltsgenehmigung. Was ein gegenteiliger Befund für diese Menschen bedeuten kann, wurde durch Kambiz Roustayi’s Verzweiflungstat deutlich.

Wenn ich mir durchlese, was ich geschrieben habe, merke ich, dass sich diese Geschichte liest, wie ein besonders dramatischer, schlechter Krimi - und doch bist das alles traurige Realität.
Wie aussichtslos kann die Situation eines Menschen sein, dass sie ihn zu so einer Tat treibt? Ein öffentlicher Hilfeschrei eines Einzelnen, der für viel zu viele spricht, und der die unmenschliche Asylpolitik der Niederlande offenlegt.

Und was passiert? Nichts. Ein paar niedergelegte Blumen, ein paar Beiträge über traumatisierte Augenzeugen, fertig. Was, WAS BITTE muss denn noch geschehen, bis die Menschen und vor allem die Politik anfängt zu denken? Wann fängt jemand an, sich dafür zu interessieren, dass die Asylpolitik völlig unzureichend ist, und nicht jedem, wie in der Theorie vorgesehen, die gleichen Chancen lässt?

Artikel 1 des Niederländischen Grundgesetztes besagt: „Allen die zich in Nederland bevinden, worden in gelijke gevallen gelijk behandeld. Discriminatie wegens godsdienst, levensovertuiging, politieke gezindheid, ras, geslacht of op welke grond dan ook, is niet toegestaan.”
(Alle, die sich in den Niederlanden befinden, werden in gleichen Dingen gleich behandelt. Diskriminierung aufgrund von Religion, Lebensweise, politischer Gesinnung, Rasse, Geschlecht oder jeglicher anderer Gründe ist nicht zulässig.)

Bloße Theorie? BlaBla ohne Hand und Fuß?
Was ist aus der Genfer Konvention geworden, die noch vor ein paar Jahrzehnten so überzeugt unterzeichnet wurde? Schnee von gestern?

Meine ehemalige Mitbewohnerin aus Liberia sitzt noch immer im Abschiebegefängnis im Rotterdam - 4 volle Monate! Sie ist laut Richterbeschluss legal, sie darf nicht im Gefängnis sitzen. Aber wen interessiert's? Den IND (Immigrations- & Neutralisationsdienst) sicherlich nicht. Ihre Anfrage auf medizinisch-psychologische Hilfe wurde zum zweiten Mal abgewiesen. Wöchentlich kommt der DT&V (~ Abschiebeorganisation) bei ihr zu Besuch, setzt sie in dieser verletztlichen Position immer wieder aufs Neue unter Druck, droht ihr mit Abschiebung, schüchtert sie ein mit dem Ziel, ihren Willen zu brechen, damit sie „freiwillig“ zurückkehrt, da man sie in diesem Moment per Gesetz nicht aussetzen kann. Und das dichte ich hier nicht nur des Dramas wegen hinzu, das ist wirklich Teil des „Asylprogrammes“ hier. Permanente Einschüchterung, Arbeitsverbot, und Umsiedlung von ASC (Asylsucherzentrum) nach ASC in regelmäßigen Abständen, um zu verhindern, dass die Migranten hier Wurzeln schlagen und sich zu Hause fühlen können.

Wie kann man denn eine so verwundbare Minderheit immer noch mehr abdrängen? Wenn nicht ein brennender Selbstmörder mitten im Stadtzentrum die Menschen wachrüttelt, was bitte muss denn noch passieren???

(vom 08.04.11)

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