Was
zur Hölle muss denn noch passieren, bis jemand wach wird?
Vor
zwei Tagen hat sich ein Mensch auf dem Dam Square in Amsterdam - mitten im
Stadtzentrum, ca. 5km von mir weg - in Brand gesteckt und ist gestern seinen
Verletzungen erlegen. Der Grund für diese Tat war bis heute unbekannt und Spekulationen
entflammten in den Medien - verzweifelter Arbeitsloser? Psychisch Kranker?
Falsch.
Das wahre Motiv ist seit heute bekannt: Der Mann war Asylbewerber.
Der
gebürtige Iraner Kambiz Roustayi (36) verweilte
schon seit mehr als zehn Jahren in den Niederlanden. Die Asylanfrage dieses
Mannes, der im Herkunftsland regimekritische Meinung publizierte und dem dort
deswegen Folter und Gefängnis drohen, wurde nach all diesen Jahren zum
wiederholten Male abgewiesen.
Und Kambiz Roustayi steht nicht alleine damit. Viel
zu oft sitzen Flüchtlinge in endlosen Gerichtsverfahren, wodurch sie nirgends
ein normales Leben beginnen können: weder im Herkunftsland, wo sie ihres Lebens
nicht sicher sind, noch im Zielland, in diesem Fall den Niederlanden, wo sie
von der Welt abgeschieden in Asylsucherzentren leben müssen. An den Rand der Zivilisation
gedrängt, mit dem Finger draufgezeigt, mit dem Wort "Illegale/r"
bestempelt. Nein, diese Zeit, in der Asylbewerber in ihrem Asylprozess sitzen,
und einfach nur abwarten müssen, ohne Handlungsmöglichkeit, ohne die Erlaubnis
zu arbeiten, kann man definitiv nicht als „leben“ bezeichnen. Das Einzige, das
bleibt, ist die Hoffnung auf ein "Positiv", eine
Aufenthaltsgenehmigung. Was ein gegenteiliger Befund für diese Menschen
bedeuten kann, wurde durch Kambiz
Roustayi’s Verzweiflungstat deutlich.
Wenn
ich mir durchlese, was ich geschrieben habe, merke ich, dass sich diese
Geschichte liest, wie ein besonders dramatischer, schlechter Krimi - und doch
bist das alles traurige Realität.
Wie
aussichtslos kann die Situation eines Menschen sein, dass sie ihn zu so einer
Tat treibt? Ein öffentlicher Hilfeschrei eines Einzelnen, der für viel zu viele
spricht, und der die unmenschliche Asylpolitik der Niederlande offenlegt.
Und
was passiert? Nichts. Ein paar niedergelegte Blumen, ein paar Beiträge über
traumatisierte Augenzeugen, fertig. Was, WAS BITTE muss denn noch geschehen,
bis die Menschen und vor allem die Politik anfängt zu denken? Wann fängt jemand
an, sich dafür zu interessieren, dass die Asylpolitik völlig unzureichend ist,
und nicht jedem, wie in der Theorie vorgesehen, die gleichen Chancen lässt?
Artikel 1 des Niederländischen Grundgesetztes besagt: „Allen
die zich in Nederland bevinden, worden in gelijke gevallen gelijk behandeld.
Discriminatie wegens godsdienst, levensovertuiging, politieke gezindheid, ras,
geslacht of op welke grond dan ook, is niet toegestaan.”
(Alle, die sich in den Niederlanden befinden,
werden in gleichen Dingen gleich behandelt. Diskriminierung aufgrund von
Religion, Lebensweise, politischer Gesinnung, Rasse, Geschlecht oder jeglicher
anderer Gründe ist nicht zulässig.)
Bloße
Theorie? BlaBla ohne Hand und Fuß?
Was
ist aus der Genfer Konvention geworden, die noch vor ein paar Jahrzehnten so
überzeugt unterzeichnet wurde? Schnee von gestern?
Meine
ehemalige Mitbewohnerin aus Liberia sitzt noch immer im Abschiebegefängnis im
Rotterdam - 4 volle Monate! Sie ist laut Richterbeschluss
legal, sie darf nicht im Gefängnis sitzen. Aber wen
interessiert's? Den IND (Immigrations- & Neutralisationsdienst) sicherlich nicht. Ihre Anfrage auf medizinisch-psychologische
Hilfe wurde zum zweiten Mal abgewiesen. Wöchentlich kommt der DT&V (~
Abschiebeorganisation) bei ihr zu Besuch, setzt sie in dieser
verletztlichen Position immer wieder aufs Neue unter Druck, droht ihr mit Abschiebung,
schüchtert sie ein mit dem Ziel, ihren Willen zu brechen, damit sie „freiwillig“
zurückkehrt, da man sie in diesem Moment per Gesetz nicht aussetzen kann. Und
das dichte ich hier nicht nur des Dramas wegen hinzu, das ist wirklich Teil des
„Asylprogrammes“ hier. Permanente Einschüchterung, Arbeitsverbot, und Umsiedlung
von ASC (Asylsucherzentrum) nach ASC in regelmäßigen Abständen, um zu
verhindern, dass die Migranten hier Wurzeln schlagen und sich zu Hause fühlen
können.
Wie
kann man denn eine so verwundbare Minderheit immer noch mehr abdrängen? Wenn
nicht ein brennender Selbstmörder mitten im Stadtzentrum die Menschen
wachrüttelt, was bitte muss denn noch passieren???
(vom 08.04.11)
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